Ich schreibe seit Ende 2016 über Feminismus und habe das Thema Abtreibung tatsächlich noch nie ansatzweise angesprochen.
Es ist Feminist-inn-en aber sehr wichtig, jedoch auch unglaublich groß, zumindest fällt mir sehr viel dazu ein und irgendwo muss ich ja anfangen. Deshalb beschränke ich mich jetzt nur auf einen bestimmten Punkt.
Wie Feminismus zum Thema steht, kann man sich, nehme ich an, gut denken. Ansonsten kurz gefasst:
Heißt: Es kommt nicht darauf an, ob du selbst abtreiben würdest, sondern ob du findest, dass diese Möglichkeit für diejenigen, die sich eine wünschen, bestehen sollte.
Wenn über Schwangerschaftabbrüche diskutiert wird, ist die Zentralfrage meist, ob sie moralisch vertretbar sind - oder eigentlich: ob ein Fötus ein Recht aufs Leben hat.
Leute, die "pro-life" sind, sagen: JA, deshalb sollten Schwangerschaftsabbrüche verboten sein.
...und Leute, die "pro-choice" sind: Schwangerschaftsabbrüche sollten erlaubt sein, also NEIN, ein Fötus hat kein Lebensrecht.
Daran gefällt mir aber etwas nicht und das versuche ich jetzt zu erklären.
Die "pro-life"-Argumentation ist wie folgend:
Prämisse 1: Wenn ein Wesen das Recht hat zu leben, dann ist es unmoralisch, sein Leben auf direkter Weise zu beenden (obwohl es vermeidbar wäre). |
Prämisse 2: Ein Fötus hat das Recht zu leben. |
Folgerung 1: Einen Fötus zu töten (obwohl es vermeidbar wäre), ist unmoralisch. |
Prämisse 3: Eine Abtreibung tötet den Fötus. |
Folgerung 2: Abtreibungen sind unmoralisch. |
Da diese Argumentation valid ist, muss eine Prämisse abgelehnt werden, will man die Schlussfolgerung widerlegen.
Es kann nicht die dritte Prämisse zurückgewiesen werden, da es sich um die Definition des Schwangerschaftsabbruchs handelt.
Deshalb wird so gut wie immer die zweite abgelehnt. Ich würde aber eher die erste ablehnen, aus dem Grund, dass sie für mich völlig falsch ist.
Ich bin der Ansicht, dass man für das Abtreibungsrecht sein kann, ohne einem Fötus ein Lebensrecht abzusprechen, also dass es unnötig ist, bei diesem Thema darüber zu debattieren. Man könnte sogar sagen, es hat genau so ein Lebensrecht, wie ein bereits geborener Mensch. Ob es Sinn macht, ist eine andere Frage, die ich jedoch, wie gesagt, nicht relevant finde. Um das zu erklären, nehme ich als Beispiel das sogenannte Argument des bewusstlosen Geigers von der Philosophin Judith Jarvis Thomson.
❝Eines Morgens wachen Sie im Bett auf und liegen Rücken an Rücken mit einem bewusstlosen Geiger. Einem berühmten bewusstlosen Geiger. Er leidet an einem fatalen Nierenversagen und die Gesellschaft der Musikliebhaber hat alle zugänglichen medizinischen Unterlagen durchsucht, um herauszufinden, dass nur Sie allein den richtigen Bluttyp haben, um zu helfen. Die Musikliebhaber haben Sie deshalb gekidnappt und letzte Nacht den Blutkreislauf des Geigers mit dem Ihren verbunden, sodass nun Ihre Nieren dazu in der Lage sind, sein und Ihr Blut zugleich zu entgiften. Der Leiter des Krankenhauses kommt nun zu Ihnen und sagt, "Schauen Sie, es tut uns wirklich leid, dass die Gesellschaft der Musikliebhaber Sie in dieser Weise behandelt hat. Wir hätten derartiges niemals zugelassen, wenn wir davon gewusst hätten. Dennoch haben Sie es nun einmal getan und der Geiger ist an Sie angeschlossen. Ihn von Ihnen zu trennen würde darauf hinauslaufen, ihn umzubringen. Aber Sie sollten die Sache nicht so eng sehen, denn es geht ja nur um 9 Monate. Wenn die vorüber sind, dann wird er von seinem Krankheitsanfall erholt sein und ohne Gefahr von Ihnen getrennt werden können.❞
Der Violinist ist eine Person mit einem Lebensrecht und wenn du dich trennst, verursachst du ihren Tod. Wäre die erste Prämisse richtig, wäre es eine schlechte Tat, sich zu trennen. Anders gesagt, es wäre deine (moralische) Pflicht mit ihm neun Monaten angeschlossen zu bleiben. Und wie lange diese Zeitspanne ist, ist dann auch egal: Wären es neun Jahre, wäre es ebenfalls deine Pflicht, neun Jahre angeschlossen zu bleiben.
Aber ist es das, was uns unsere Intuition einflößt? Nope.
Wenn du den Violinisten rettest, dann machst du etwas Gutes, aber wenn du dem Krankenhausleiter entgegnest, dass du auch dein eigenes Leben hast, wird man dir dafür zwar keine Medaille verleihen, jedoch wird dir kaum jemand sagen, dass du schlecht gehandelt hast.
Es gibt zwei Arten von moralischen Handlungen:
Den Violinisten zu retten ist eine typische supererogatorische Handlung. Es ist gut, wenn du es tust, aber es ist keine Pflicht.
Was das Argument des bewusstlosen Geigers zeigen möchte, ist dass das Lebensrecht sich nicht auf die absolute Pflicht stützt, Leben zu retten. Auch wenn wir sein Lebensrecht anerkennen, erkennen wir auch, dass sich nicht alles vor diesem Recht beugen muss. Das Lebensrecht eines Individuums ist kein unantastbares und absolutes Recht, für den man alles opfern muss, sei es eventuell auch unser Leben.
Denn: Abtreibungen (dass es sich um eine Analogie handelt, müsste spätestens ab hier offensichtlich sein, ist auch Thomsons Intention) noch in vielen Ländern auf der Welt in keinen Umständen erlaubt sind (in El Salvador wird man sogar bei einer Fehlgeburt bestraft), genau so ist es ebenfalls in einem EU-Land der Fall, nämlich Malta. Das heißt auch nicht bei Lebensgefahr für die schwangere Person.
Malta ist ein sehr katholisches Land (98% der Bevölkerung), das den Katholizismus in der Verfassung als Staatsreligion verankert und die Katholische Kirche erlaubt Abtreibungen unter keinen Umständen (da ist es, denke ich, bemerkenswert, dass wichtige Positionen ausschließlich an Cismännern vergeben werden): Wer an einer Abtreibung mitwirkt (dazu zählt auch: jemanden dazu geraten zu haben), wird automatisch aus der sakramentalen Gemeinshaft ausgeschlossen (= Exkommunikation).
❝Abtreibung ist kein kleineres Übel. Das ist ein Verbrechen. Es ist jemanden umbringen, um einem anderen zu retten. Es ist das, was die Mafia macht.❞ - Papst Franziskus, 18.2.2016
❝Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige Verbrechen.❞ - Zweites Vatikanisches Konzil
Bevor ich anfange, vom Thema abzuweichen, verlinke ich lieber ein paar Videos/Seiten dazu:
https://bible.com/bible/73/jer.1.5.HFA
https://www.youtube.com/watch?v=wCUC-RDdQkg
http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_P88.HTM#3M
Und zum Glück muss man nicht soweit gehen, sein eigenes Leben zu opfern, um die anderer zuretten, denn sonst könnten wir gar nichts mehr machen:
Es gibt eine Menge Menschen auf der Welt, die dieses Recht haben, dessen Leben gefährdert ist und die gerettet werden könnten, wenn ich ihnen meine Zeit widmen würde.
Anstatt das zu machen, was ich sonst in meiner Freizeit mache, könnte ich Leben retten. Jeder Mensch hat ein Lebensrecht und wenn es wirklich so unantastbar, unverletzlich und absolut wäre, hätten wir keine Ausrede mehr, anderes zu tun.
Nur, dass... Nope. Jemand, der sein Lebenssinn darin sähe, sein ganzes Leben damit zu verbringen, das anderer zu retten, den würde man loben, aber man sagt keinem Menschen, der es nicht tut, dass er schlecht handelt.
Also erkennen wir, dass alle Menschen ein Lebensrecht haben, aber dass dieser im Konflikt zu anderen Rechten anderer Menschen stehen kann, die man auch beachten sollte.
Mit welchem Recht steht das Lebensrecht des Violinisten in Konflikt? Das ist das Recht sein Leben so zu leben, wie man will oder das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Aber auch dieses Recht ist nicht absolut.
Wenn ich nur eine halbe Stunde warten müsste, würde niemand zögern, mich als egoistisch und meine Tat als unmoralisch zu bezeichnen, wenn ich mich trenne, obwohl ich trotzdem immer noch ein Recht auf Autonomie habe.
Zertretet das Lebensrecht eines Individuum wenig auf deine Autonomie, so wird es als deine Pflicht angesehen, es zu respektieren, aber wenn es anfängt, dir viel zu kosten, dann wird man sagen, dass dein Recht auf Autonomie Vorrang hat.
Hat ein Fötus ein Lebensrecht, so wäre nicht abzutreiben eine gute Handlung, aber es beendet nicht die Debatte, da man auch andere Rechte anderer Individuen beachten sollte, sprich hier das Recht aller, die schwanger werden können, über ihren eigenen Körper (und Leben) zu bestimmen.
Aber eine genaue Grenze zu finden, wo das eine Recht anfängt und wo das andere, ist nicht leicht.
Eine halbe Stunde: Okay; neun Jahre: Nein. Es liegt irgendwo dazwischen.
In jedes Land, wo Abtreibungen (mehr oder weniger) straffrei sind, wird gesetzlich eine bestimmte Wochenanzahl vorgeben, die man nicht überschreiten darf, will man sie praktizieren. Immer noch in der Perspektive, dass ein Fötus ein Lebensrecht hat, kann man diese Gesetzesregelung als Kompromiss zwischen dem einen und dem anderen Recht betrachten.
Natürlich habe ich mir im Internet angeschaut, was es für Meinungen zu diesem Gedankenexperiment gibt; ich denke, dass es klar ist, dass einige finden, dass es nicht vergleichbar ist. Deshalb erwähne ich noch die zwei Argumente, die ich am häufigsten lesen oder hören konnte:
a) Im Fall mit dem Violinisten wird die Person entführt, sodass alles gegen ihren Willen passiert.
Sei es denn man wird dazu gezwungen, treibt man normalerweise ab, wenn man ungewollt schwanger ist. "Ungewollt" ist quasi eine andere Formulierung für "gegen ihren Willen".
Ich denke, dass gemeint, dass die schwangere Person, sofern sie nicht vergewaltigt wurde, selbst dafür verantwortlich ist, da es ein Argument ist, das sonst wirklich immer wieder kommt.
Da keine Verhütungsmethode sicher ist, stimmt es also nicht in allen Fällen und wenn man für die Folgen von etwas verantwortlich ist, heißt es nicht automatisch, dass man diese Folgen wollte. Wenn Menschen rauchen und es ihnen gesundheitlich schadet, dann sind sie zwar dafür verantwortlich, jedoch wollten sie das nicht.
Man sagt ihnen normalerweise nicht, dass man deswegen nichts gegen diese unerwünschten Folgen tun sollte. Wie manche reden habe ich das Gefühl, dass Schwangerschaften Bestrafungen dafür sind, dass eine Frau (1) Sex hat. Man kann aber auch wenn man verheiratet ist keine Kinder haben wollen, das ist ebenfalls ein Punkt, der NIE beachtet wird.
(1) "Frau", weil nie auf Inklusion geachtet wird.
Es ist schon recht interessant, dass wenn öffentlich über das Thema Vergewaltigung gesprochen wird, eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass irgendjemand erwähnen möchte, dass Sex ein Grundbedürfnis sei. Beim Thema Abtreibung heißt es, "einfach nicht machen".
b.) Es sei bei 9 Jahren nicht unmoralisch, sich zu trennen, aber bei 9 Monaten schon.
Tatsächlich ist Moral irgendwo relativ und wie schon erwähnt, kann keine eindeutige Grenze gesetzt werden.
Jedoch frage ich mich, wieso ignoriert wird, dass ein Kind in die Welt zu setzen ein quasi lebenslanges Engagement ist. Wenn im Falle des Violinisten 9 Monate vergangen sind, wird es einfacher sein, sein altes Leben zurückzubekommen. Du nimmst bei deiner Entscheidung auch Rücksicht auf die Zeit nach der Geburt. Für manche ist das Problem auch gar nicht die Schwangerschaft an sich, sondern das Leben danach.
Hier würde wohl das beliebte Argument der Adoption verwendet werden.
Sollte man zu den Personen gehören, die kein Problem mit den 9 Monaten, der Geburt und das Kind danach wegzugeben haben, dann spricht ja nichts dagegen. Ich denke aber nicht, dass es für alle eine gute Lösung ist.
Manche wollen nicht, dass ihre Gene weitergegeben werden (z.B. aufgrund eines Krankheitsrisiko) oder manche sind der Ansicht, man sollte kein Kind, das nicht gewollt ist, in die Welt setzen. Vielleicht will man nicht befürchten, dass Jahre danach jemand an der Tür steht und behauptet, es sei dein leibliches Kind oder man würde nicht damit klarkommen, nicht zu wissen, ob es dem Kind gut geht oder man hat Angst, elterliche Gefühle zu entwickeln, sobald man das Kind in den Arm hält.
Besonders die zwei letzten Punkte halte ich für sehr wahrscheinlich.
Ansonsten: Natürlich sind es zwei verschiedene Situationen. Die unterschwellige Idee beim Argument des bewusstlosen Geigers ist jedoch, sich bewusst zu machen, dass es Konflikte zwischen zweite Rechte geben kann und dass es Fälle gibt, wo es uns normal vorkommt (ist eine Person am Sterben, ist es nicht mal erlaubt die Organe einer toten Person zu entnehmen, gibt es keine Bestätigung), dass das Selbstbestimmungsrecht Vorrang hat, sodass Abtreibungsgegner-innen nicht einfach argumentieren können, dass ein Fötus ein Lebensrecht hat, damit die Diskussion beendet wird. Das Thema ist komplex und man wird immer ungenaue Antworten bekommen. Manche werden sagen, dass 9 Monate zu viel sind und andere eben nicht; im Endeffekt ist es einfach nur die Entscheidung der betroffenen Person.