wir sind alle problematisch

Gale: Wieso liegt dir eigentlich so viel an deinem Vorbereitungsteam, Katniss?
Katniss: Wieso denn nicht?
Gale: Tja, weil sie das letzte Jahr damit verbracht haben, dich für's Abschlachten schön zu machen, vielleicht?
Katniss: So einfach ist das nicht... Sie sind nicht böse oder grausam. Sie begreifen nicht... Ich meine, sie wissen nicht...
Gale: Was wissen sie nicht? Dass die Tribute gezwungen werden, sich bis in den Tod zu bekämpfen? Dass du in die Arena geschickt wurdest, damit die Leute Spaß haben? War das im Kapitol ein großes Geheimnis?
Katniss: Nein, aber sie sehen das nicht so wie wir. Sie sind damit groß geworden und...
Gale: Willst du sie deswegen auch noch in Schutz nehmen?
Katniss *in Gedanken*: Das trifft mich, denn, so lächerlich es ist, genau das tue ich. Verzweifelt suche ich einen logischen Standpunkt. Aber er hat recht. Es ist wirklich seltsam, dass ich mir solche Sorgen um mein Vorbereitungsteam mache. Eigentlich müsste ich sie doch hassen und am liebsten hängen sehen.



Wir reagieren nicht alle gleich auf Rassist·inn·en, Sexist·inn·en, Anti-LGBTs, Ableist·inn·en, Lookist·inn·en, Speziesist·inn·en, etc. Manche haben noch genug Energie und versuchen ihre immer wieder vorkommenden Argumenten zu widerlegen. Andere versuchen es mit Humor, als Selbstschutz. Dann gibt es die, die diese Leute richtig verteufeln. Dabei kommt es auch mal vor, dass sie auf Unterdrückung aufmerksam machen, indem sie selbst zum Unterdrücker werden.

« Transgender sind psychisch krank.
– DU BIST PSYCHISCH KRANK! »

Wisst ihr wozu es führt, "psychisch krank" als Beleidigung zu verwenden? Dass wenn man jemanden erklären will, dass man denkt oder weiß, dass er/sie wirklich psychisch krank ist, nimmt er/sie das nicht ernst, ergo er/sie sucht sich keine Hilfe.

« Rassist·inn·en sind für mich keine Menschen! »

Während das Wort "menschlich" positiv ist, ist das Wort "tierisch" negativ. Dieses Menschlichkeitskonzept erhebt den Menschen und ist somit speziesistisch, denn sagen wir nicht manchmal "Tiere sind menschlicher als Menschen" und meinen es als Kompliment? By the way wäre an diesem Satz auch speziesistisch, dass "Tiere" und "Menschen" als Gegenteile dargestellt werden.

Und falls zufällig hier jemand sollte, der das bis jetzt nicht wusste: Tja. Menschen wie dich werde ich mit diesem Kapitel meinen.

Rassistisch, sexistisch – und so weiter – zu sein, hat nichts mit "nicht nett" sein zu tun. Klar, wenn ich sage "Transsexuelle sollten die Todesstrafe bekommen" ist das schon "nicht nett". Aber denkt ihr wirklich, dass wenn LaurenCocoXo sagt, dass das Leben schön wäre, müsste man sich nicht die Beine nicht rasieren, hat es was mit Unfreundlichkeit zu tun? Hä? Nein!

Sie hat das Beinerasieren nie hinterfragt. Sie ist nicht darauf gekommen, es zu hinterfragen – genau so wie andere das Wort "menschlich" nie hinterfragt haben. 
In der Schule bringt man dir nicht bei, die Welt zu hinterfragen, sondern man bringt dir bei "wenn du nachsprechen/widergeben kannst, was wir dir gesagt haben, bist du schlau". 
Sexistische YouTuber·innen sprechen nach, was sie über Jahre durch Zeitschriften like die "Bravo", klischeehafte Filme und Serien, Werbungen, eventuell Religion, sexistische / frauenfeindliche Autoritäten (Lehrer / Groß-/Eltern / Tante, Onkel) und Freunde, etc. gelernt haben.
Was kann ein Kind dafür, wenn es Bücher gekauft bekommt, wo seine steht, dass Mann und Frau füreinander bestimmt sind – ja, wir kennen alle diese schrecklichen Bücher; verbrennt sie – und kein Spielzeug-Kochherd, weil es nicht mit seiner Geschlechterrolle übereinstimmt? 
Die Kinder denken sich: Wenn ich das genau so sehe wie meine Eltern, meine Lehrer, meine Bücher, bin ich schlau.

Bis jetzt merke ich auf soziale Netzwerke, dass viele das so sehen:

Rassist·inn·enSexist·inn·en – und so weiter – erkennt man mit 3 Kilometer Entfernungman kann sie direkt identifizieren (denn sie sind keine Menschen), sie sind schlechte Menschensodass man gar nicht schlechter sein kann als siewenn man sie beleidigtund sie sind auf keinen Fall wir selbst.

Echt beruhigend so was zu denken. 
Niemand behauptet von sich selbst, rassistisch zu sein, sonst würden wir kein "ich bin kein·e Rassist·in, aber..." hören. Niemand behauptet von sich selbst, dass er/sie sich sexistisch verhält.

Das war letzte Woche oder so, da hat ein großer YouTuber auf Twitter geschrieben, dass er gar nicht antifeministisch und transfeindlich sei. Nachdem er ironisch gefragt hat, was mit den "67 Geschlechtern" bei einer Umfrage sei und nachdem er andere als Feminazi und SJW bezeichnet hat. 
Zur Aufklärung: Sich über Enbys lustig zu machen ist per Definition transfeindlich, weil sie trans sind und du nun mal ihre Existenz aberkennst. Was Transfeindlichkeit ist, hängt nicht von der Meinung einer Cisperson ab. 
Feminazi bezeichnet Feministinnen, die für das Abtreibungsrecht sind. SJW ist ein makulinistischer Begriff. Wenn ihr nicht wisst, was Maskulinismus ist, könnt ihr euch die Seite "WikiMANNia" anschauen. Viel Spaß!

Also: Da niemand von sich selbst behauptet, rassistisch, sexistisch, blablabla, zu sein, wäre es logisch zu behaupten, dass niemand weiß, ob er jetzt, gerade in diesem Moment, rassistisch, sexistisch, blablabla, ist.

Und so ist es auch. Wir sind alle problematisch. Manche mehr, manche weniger. Und das sollte man akzeptieren und dazustehen.

Wie sollte es anders überhaupt gehen? Wir leben alle in einer patriarchalischen, ableistischen, cisheteronormativen, speziesistischen Gesellschaft, die unter anderem großen Wert auf das Aussehen legt. Wir baden alle in unsichtbare Ideologien, die man versucht hat, uns seit unserer Geburt, bevor wir überhaupt reden und denken könnten, aufzuzwingen.
Wie soll ein Mensch es geaschafft haben, nie von den ganzen diskriminierenden Vorurteilen gehört zu haben? Und das hat nichts mit "nicht nett" sein zu tun. 
Nicht zu wissen, dass Lesben, Schwule, A-, Bi- und Pansexuelle existieren, ist heteronormativ und hat nichts damit zu tun, dass du ein "schlechter Mensch" bist.

Selbst wenn wie hören, dass Sexismus, Rassismus, LGBT-Feindlichkeit, Klassismus, Lookismus, etc. falsch ist, reicht es lange nicht, um nicht sexistisch, rassistisch, LGBT-feindlich, klassistisch, lookistisch, etc. zu sein, denn man muss erstmal überhaupt wissen, was sexistisch, rassistisch, LGBT-feindlich, klassitisch, lookistisch ist.

Was ist wenn jemand weiß, dass Ableismus und Rassismus falsch ist, aber nicht, was "Mongo" bedeutet?
Was ist, wenn jemand weiß, dass Lookismus falsch ist, aber hässlich immer noch als Beleidigung versteht?
Was ist, wenn jemand weiß, dass Lesben und Schwule existieren und "nichts gegen sie hat", aber immer noch davon ausgeht, dass jeder hetero ist? (Ich sag immer als Beispiel: Jungs fragen, ob sie eine Freundin haben und Mädchen fragen, ob sie einen Freund haben)
Was ist, wenn sich jemand selbst als tierlieb bezeichnet und weint, wenn Entenbabys überfahren werden, aber dennoch Hühnereier konsumiert?
Was ist, wenn jemand ja nicht rassistisch, klassistisch und ableistisch ist, sich aber richtig über die Rechtschreibung einer fremden Person im Internet aufregt?

Was ist, wenn ich dich darum bitte, kurz über irgendeine strukturelle Diskriminierung zu reden und du nicht viel darüber erzählen kannst, weil du dich einfach nie damit auseinander gesetzt hast?

Menschen zu diskriminieren ist nicht nur mit rassistischen, sexistischen, homopohoben, ableistischen, etc. Beleidigungen zu rufen.

Sich von alldem zu trennen, ist ein jahrelanger Prozess. Selbst Menschen, die sich aktiv gegen Unterdrückungssysteme wie das Patriarchat, Karnismus, Heteronormativität, Rassismus, etc. einsetzen, sind nicht ganz frei davon.

Manche denken, wenn sie zu allen nett sind, betrifft sie das nicht. 
Nein. Wenn alles bleibt wie es ist, ist es wie selbsternannte "gute Menschen" denken, dass sie nicht betroffen sind, dass sie da nicht mitmachen. Wenn du aber nichts über bestimmte Diskriminierungen erzählen kannst, dann machst du sehr wohl mit.

Menschen werden diskriminiert, weil die meisten ignorant sind und nicht daran denken, dass jeder Mensch ein anderes Leben hat. "was ich habe, das hat jeder".

Wir sind meistens nur unbewusst diskriminierend. Weil das, was wir machen, uns normal vorkommt. Es kommt uns nicht böse, beleidigend oder verletzend vor – weil Privilegierte keine Erfahrung damit haben. Wir sind alle irgendwo privilegiert. Alleine schon, dass wir Menschen sind und dass du das hier lesen kannst, zeigt, dass du in unserer Gesellschaft Privilegien hast.

Nur weil du nicht vor hattest, jemanden zu verletzen, heißt es nicht, dass du es nicht getan hast – siehe das Bild oben mit Wonder Woman. Intention und Auswirkung sind zwei verschiedene Sachen. Wenn du auf dem Fuß deiner besten Freundin trittst, sagst du auch nicht "du hast keine Schmerzen, weil ich es nicht mit Absicht getan habe". 
Doch, trotzdem hat die Person Schmerzen gehabt. Wenn sie dir sagt "aua, du hast mir weh getan", ist es so als würde sie dir "du bist ein schlechter Mensch" sagen? Nö. Nur weil dir jemand sagt, dass das, was du gerade gemacht oder gesagt, diskriminierend war, meint sie nicht, dass du ein "schlechter Mensch" bist.

Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht mal, was so viele mit "guter" und "schlechter" Mensch haben. Diese Gespräche sind schrecklich:

« Das war grade sexistisch / klassistisch / ableistisch / biphob!
– Was? Spinnst du, wie kannst du mir sowas sagen? Ich habe niemanden geschlagen! Ich setze mich immer gegen Sexismus / Klassismus / Ableismus / Biphobie ein! Übertreib doch nicht! Ich bin nicht der Feind, andere sind tausendmal schlimmer!
– Trotzdem war das, was du gesagt hast, verletzend / trägt zur Unterdrückung von Frauen / armen Menschen / Behinderten / Bisexuellen bei!
– Aber nein... Das habe ich einfach nur so gesagt, das war nur Spaß. Das war nicht böse gemeint, ich wollte niemanden verletzten. Es ist nicht meine Schuld, wenn du das falsch interpretierst! »

Das ist das Ergebnis, wenn man sich immer wieder einreden will, ein "guter" Mensch zu sein und auf keinen Fall schlecht dastehen will. 
Dabei wird doch nur erwartet, dass du dich entschuldigst, genau so wie du dich auch – hoffe ich – entschuldigen würdest, würdest du unabsichtlich auf dem Fuß deiner besten Freundin treten.

Wichtig ist, um gegen Diskriminierungen zu kämpfen, DEN BETROFFENEN ZUZUHÖREN, wenn sie erklären, was unsere Taten für Konsequenzen haben und wie sie bestimmte Formen von Unterdrückung fördern. 

Keine Ahnung, was ein "guter Mensch" sein soll, aber sicherlich machen auch sie Fehler, denn das macht jeder – schon vergessen? Heißt es, dass es uns egal sein, weil wir sowieso alle welche machen? Pfff.

Wenn dich jemand verletzt und die Person antwortet, dass sie es nicht so sieht, dann denkt ihr euch auch so "what? Wie kannst du... Es steht doch nicht in deiner Macht zu behaupten, es sei nicht so."
Und genau so steht es nicht in der Macht der beispielsweise Heterosexuellen zu entscheiden, was homo-, bi- oder a(ro)phob sind.

Selbst wenn die Person "nicht nett" war, als sie dich darauf aufmerksam gemacht hat. Du bist in einer sehr schlechten Position, um ihr zu erzählen, dass sie sich beruhigen soll, wenn du nicht durchmachst, was sie durchmacht.

Und als beispielsweise LGBT-Supporter kannst du dich doch nicht darüber aufregen, dass Leute dich auf dein beispielsweise Antisemitismus aufmerksam machen, wenn es dich genau so nervt, wenn sich Leute aufregen, wenn du sie auf ihre Transphobie aufmerksam machst?

Es ist nicht immer einfach für die Betroffenen zu sagen, dass gerade etwas diskriminierend war. 
Zum einen, weil manche ihr Leid für normal halten (was es auch ist, Sexismus, Rassismus, etc. ist die Norm) und wenn sie eine Minderheit sind, haben sie Angst, dass mehr Leute anwesend sind, die das Problem nicht sehen, sodass ihnen vorgeworfen wird, dass sie sich das nur einbilden oder übertreiben. Es gibt auch einfach Leute, die schüchtern sind und sich allgemein nicht trauen, was zu sagen, wenn sie jemand verletzt.

Es bringt allerdings auch nichts, sich einfach zu entschuldigen, wenn man nicht bereit ist, es nie wieder zu tun.

Vielleicht ist es genau das, ein "guter Mensch" zu sein: Seine Fehler erkennen und dazu stehen zu können, versuchen sich jeden Tag zu verbessern, um Schaden zu minimieren. 
Aber nicht jeden erzählen, wie nett sie zu jedem sind.

{Lol, sorry für die Fehler, keine Lust es nochmal zu lesen. 1:53 Uhr.}